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Big Brother is watching you


Etwas gewöhnungsbedürftig ist die permanente eigene Sichtbarkeit. Ich habe nie an die Bildtelefone geglaubt, weil ich mir sicher war, dass es geradezu ein Vorteil ist, den Gesprächspartner nicht sehen zu können. Ganz im Ernst: Wenn mich meine Kunden, die mich meist nur telefonisch kennen, tatsächlich sehen könnten, wären es vermutlich nicht meine Kunden geworden. Zusätzlich mache ich starken Gebrauch von den Segnungen der ISDN-Technik, vor allem von den Rufumleitungen: Es ist kein Problem, die werte Großmutter zu besuchen und eventuelle Telefonate aufs Handy zu leiten. Wenn man gerade dabei ist, seine Zähne in die großmütterliche Buttercremetorte zu schlagen, kann man quengelnde Kunden erstklassig abwimmeln, indem man sagt: „Oh, das gebe ich gleich mal in die Buchhaltung rüber, die machen das sofort für Sie. Kein Problem.“ Vermutlich würde die gleiche Auskunft nicht annähernd so professionell wirken, wenn man gleichzeitig auf dem geblümten Sofa beim plüschigen Kaffeekränzchen mit einer achtzigjährigen Dame zu sehen wäre.

Aber wenn Apple nun mal meint, Bildtelefonie muss sein, dann muss es eben sein. Man sollte sich aber (ganz im Ernst) schon etwas daran gewöhnen, während der Gespräche nicht „irgendwohin“ zu schauen oder sonstwie unaufmerksam zu wirken, denn das wäre unhöflich. Auch das Malen von kleinen abstrakten Kunstwerken beim Verfolgen des Gesprächs muss man aufgeben. Manche Leute neigen sogar dazu, an der eigenen Nase herumzufummeln oder sonstige spontane Körperpflege zu betreiben. Reinlichkeit ist eine Tugend, aber während eines Gesprächs wirkt es etwas seltsam.

(Es passt nicht hierher, aber eh’ ich’s vergess’: Meine Schwester hatte einmal einen Chef, der die Angewohnheit hatte, sich bei Gesprächen gedankenversunken zwischen den Beinen zu schaben. Obwohl sich meine Schwester mit der Zeit daran gewöhnte und es bald auch schaffte, nicht hinzusehen, ließ sie sich dann doch in eine andere Filiale versetzen, in der das Reiben von Körperteilen erst nach Dienstschluss üblich ist.)

Fortsetzung folgt


Die Kapitel des Beitrags:

• iChat statt Telefon: Ein Langzeit-Bericht (Teil 1)

• Telefonjunkie ohne Telefon

• Der erste Eindruck

• Erste Erfahrungen

• Sprachqualität

• Verbindungsaufbau

• Big Brother is watching you