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Der heutige Tag wird in die Geschichte eingehen.


Googles "Chrome"-Browser basiert auf Apples Webkit. Das bedeutet zweierlei: Erstens, dass der Browser die Seiten so schnell und gut darstellen wird, wie man das von Safari kennt. Webkit ist ein sehr fortschrittliches, schlankes und schnelles System. Zweitens wird Webkit dadurch zu einem Standard, den man nicht mehr ignorieren kann. Nicht nur Apple und Google nutzen ihn (das alleine würde schon ausreichen), aber selbst Handy-Hersteller wie Nokia haben sich für Webkit entschieden, und noch einige weitere Firmen. Das ist wichtig, weil auf diese Weise endlich ein Konsortium entsteht, welches mächtig genug ist, den Browser weiterzuentwickeln, ohne dass Microsoft das mit seiner Blockade-Haltung sabotieren kann. Die Mozilla-Stiftung hat daran ebenfalls ein großes Interesse.

Der neue Browser versteht sich als Plattform für Web-Applikationen. Das ist genau das, was Microsoft immer zu blockieren versuchte. Bill Gates und Steve Ballmer konnten Netscape damals ruinieren, indem sie mit hohem Aufwand den Internet Explorer entwickelten (über tausend Entwickler wurden dafür rekrutiert), um ihn anschließend zu verschenken. Aber Google verschenkt seinen Browser sowieso, und es gibt folglich nichts, was Microsoft gegen diesen Browser unternehmen könnte.

Es geht also nicht nur um eine Neuauflage des Browserkriegs -- das auch. Aber es ist auch ein neuer Kampf um den Desktop, um eine neue Plattform, für die Programme geschrieben werden. Es ist deswegen nicht nur ein Angriff auf den Explorer, sondern, in Teilen, auch auf Windows. Das sind große Worte, aber so wird es kommen. Ich fresse einen Besen, wenn im neuen Chrome-Browser nicht sehr bald die Web-Apps von Google an prominenter Stelle auftauchen. Dieser Browser wird nicht nur ein Browser sein, sondern das neue Office: Gratis-Email, Gratis-Textverarbeitung, Gratis-Tabellenkalkulation, Gratis-Kalender, Gratis-Adressbuch, und was Google sonst noch so alles anbietet. Aber dabei bleibt es nicht: Weitere Anbieter werden sich einfinden, die ein ganzes Universum an Web-Applikationen schaffen werden. Nichts ist so mächtig wie das Web. Was auch immer passieren wird: Am Ende gewinnt das Web. Gab es je eine Ausnahme?

Natürlich kann dieser Browser nicht das Windows-Betriebssystem vollständig ersetzen, genauso wenig wie Googles Web-Apps alle Funktionen von MS Office bieten. Aber für viele Szenarien ist es jetzt schon eine Alternative, und der Sinn von "Chrome" ist ja, diese Entwicklung zu intensivieren und zu beschleunigen. Diese Web-Apps werden immer besser werden, und es gibt keinerlei Barrieren für die Anwender, sie zu nutzen. Sie sind kostenlos und nur einen Mausklick entfernt. Das ist neu für Microsoft.

"Chrome" und seine Technologien sind Open Source. Google sagt, dass sie dem Webkit-Team und der Mozilla-Stiftung viel verdanken. Google lädt dazu ein, sich die guten Ideen aus dem Chrome-Projekt zu nehmen, um es in anderen Browsern zu verwenden; und Google wird das mit den guten Ideen aus anderen Projekten ebenso tun. Das Ziel des Chrome-Projekts ist unter anderem, das Web insgesamt moderner und leistungsfähiger zu machen, und das klappt umso besser, je mehr die Browser-Hersteller und Communities an einem Strang ziehen.

Ein paar dieser Technologien sind nicht unbedingt neu, einige wenige schon. Die erste ist eine ultraschnelle JavaScript-Engine (die beim ersten Überfliegen der derzeit zur Verfügung stehenden Infos verdächtig nach Apples SquirrelFish-Projekt klingt). Schnelles JavaScript ist der Schlüssel für moderne Web-Apps wie z.B. MobileMe. Weitere Technologien beschäftigen sich mit der Stabilität, dem Speicherverbrauch (Garbage Collection), und einem neuen Sicherheitsmodell (Sandboxing).

Noch eine Randbemerkung: Wer die Neuheiten beim Webkit in den letzten 18 Monaten verfolgt hat, dem ist vermutlich schon der Verdacht gekommen, Apple arbeite daran, WebKit zu einer neuen Software-Plattform auszubauen. Safari 4 wird erstmals Offline-Programme möglich machen, d.h. man kann eine Applikation auf dem Desktop starten, so wie Word oder Pages, und sie braucht nicht unbedingt eine Internet-Verbindung, um Daten bearbeiten oder speichern zu können. Dazu gesellen sich spektakuläre grafische Möglichkeiten, die ziemlich einfach zu programmieren sind, etwa 3D-Effekte, wie man sie von Dashboard-Widgets kennt ("Umdreh-Effekt"), oder auch Spiegelungen. Man könnte "Cover Flow" im Browser programmieren, mit relativ wenig Aufwand. Flüssige Animationen werden automatisch berechnet. Sogar Alpha-Maskierungen sind möglich. Falls das Webkit-Team tatsächlich daran denkt, Webkit speziell für Applikationen fit zu machen, könnte das vielleicht etwas mit Google zu tun haben -- vielleicht kocht Apple aber auch ein eigenes Süppchen, von dem wir noch nichts wissen. Jedenfalls ist klar zu erkennen, dass sich bei Webkit sehr seltsame Dinge tun, und ohne Grund wird das sicherlich nicht geschehen.

Dass Google mit seinem "Chrome"-Browser Erfolg haben wird, scheint relativ sicher, was auch immer das in Marktanteilen bedeuten wird. Und an dieser Stelle muss man den Taschenrechner zücken. Die Fronten sind klar gezogen: Auf der einen Seite steht Microsoft, auf der anderen Seite stehen alle anderen (Firefox, Chrome, Safari, Opera). Sobald diese "Anderen" gemeinsam einen Marktanteil erkämpft haben, ab dem man sie nicht mehr ignorieren kann, oder ab dem sie vielleicht sogar neue Technologien in den Markt drücken können, hat Microsoft das Web verloren. Dann sind sie einer von vielen, egal ob sie nun 30, 50 oder 60 Prozent des Marktes bedienen -- wen juckt das schon? Wenn Microsoft um 20 Prozentpunkte fällt (unterhalb von 60 Prozent), ist es vorbei mit dem Monopol und vorbei mit der Blockade neuer Technologien. 20 Prozentpunkte bedeuten rein rechnerisch, dass jeder der "anderen" Browser um 5 Prozent zulegen muss. Das wird schwer für Safari und Opera, aber zusammen mit Firefox und Chrome ist das durchaus in Reichweite. Hingegen: Welche Chancen hat Microsoft, weitere Marktanteile hinzu zu gewinnen? Nicht viele. (Eigentlich überhaupt keine, wenn ich nichts übersehen habe.)

Microsoft ist in einer strategischen Schach-Matt-Situation: Einerseits müssen sie Browser-Applikationen blockieren, um die Entwickler (und damit die Anwender) auf Windows festzunageln. Um das zu erreichen, wurde der Explorer über einige Jahre absichtlich nicht weiterentwickelt, gleichzeitig wurde er allen Windows-Nutzern untergeschoben, sodass nie Web-Apps jenseits der begrenzten Fähigkeiten des Explorers entstehen konnten. Aber irgendwann gab es Browser-Hersteller und Anwender, die drauf pfiffen und trotzdem moderne Browser und Web-Applikationen entwickelten und nutzten -- trotz aller Erschwernisse, die das heute noch impliziert. Jedoch: Wenn Microsoft nicht tatenlos mit ansehen will, wie sie im Web mehr und mehr geschmäht und abgehängt werden, müssen sie einen guten Browser anbieten, ob sie wollen oder nicht. Und damit sägt sich Microsoft zwangsläufig den Ast ab, auf dem sie sitzen, oder besser gesagt: sie reissen eigenhändig ein Loch in jene Mauer, hinter der sie sich bisher verschanzt hatten.

Und das ist der Grund, warum der heutige Tag in die Computergeschichte eingehen wird. Es ist der Tag, an dem man IT-Fiesling Steve Ballmer vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Natürlich wird es Jahre dauern, bis Microsoft seinen Einfluss im Web eingebüßt hat, aber der heutige Tag markiert vermutlich einen Wendepunkt.

Jörn Dyck