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Ein Inschinör hat’s schwör — und bei Apple sogar söhr


02.06.2022  

Ein paar Tage noch bis zur WWDC 2022! Und diesmal scheint es Apple tatsächlich gelungen zu sein, die Neuigkeiten geheim zu halten. Zwar könnte es noch den üblichen Leak in der Nacht vor der Keynote geben, aber so spannend wie dieses mal war’s lange nicht.

Apples Keynotes sind legendär. Es ist eines der vielen Erbstücke von Steve Jobs, die auch heute noch volle Gültigkeit haben; selbst wenn niemand mehr an die Präsentationskunst von Steve Jobs heranreichte. Man vergisst leicht, wie unendlich langweilig die Keynotes von Apple in den 90ern waren, als Steve Jobs nicht die Verantwortung trug. Das galt ganz besonders für die trockene WWDC.

Oft liest man in der Presse, Steve Jobs sei ein guter Verkäufer gewesen — als ob er einen rostigen Ford als brandneuen Porsche anpreisen konnte. Aber das verkennt den entscheidenden Punkt völlig.

Der entscheidende Punkt ist, dass Steve Jobs keinen rostigen Ford als Porsche angepriesen hat. Sein Talent war nicht die Täuschung, sondern ganz im Gegenteil, es war eine neue Ehrlichkeit, die es zuvor auf den Keynotes großer Firmen nicht gegeben hatte. Er stellte sich ohne großes Blabla vor seine Kunden und sagte: »Daran haben wir im letzten Jahr gearbeitet, wir finden es großartig, und was sagt Ihr dazu?« Und entweder gab es Applaus oder eben nicht.



Steve Jobs war glaubwürdig, weil man wusste, dass er selbst an diesen Produkten gearbeitet hatte, und weil er sich anschließend dem Votum der fachkundigen Zuhörer stellte. Er versteckte sich nicht hinter einer Fassade oder las einen langweiligen Text vor.

Dasselbe gilt für die Ingenieure, die gelegentlich ihre Erfindungen präsentieren durften. Heute kommt das öfter vor als damals, als sich noch alles auf Steve Jobs konzentrierte. Aber die WWDC war immer ein Fest der Entwickler und Ingenieure. Der Saal war voll mit Entwicklern, und man wollte sich vor den Kollegen nicht blamieren. Zahlreiche Apple-Ingenieure haben später erzählt, dass ein Auftritt auf einer Keynote zu den Höhepunkten ihres Berufslebens zählte.



Aus dem Safari-Team weiß man, dass führende Entwickler schweißnass verfolgten, wie Steve Jobs auf einer Keynote zum ersten Mal Safari vorführte. Der tosende Applaus des Publikums muss für diese Ingenieure ein unglaubliches Erlebnis gewesen sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Apple-Ingenieure daraus eine enorme Motivation schöpften. Es gab Applaus — aber nicht gratis. Sie mussten es sich verdienen, aber Apple gab ihnen die Möglichkeit dazu.

Seitdem hat sich viel geändert. Die Computer-Fachpresse existiert nicht mehr, bis auf sehr wenige Ausnahmen. Die Computer-Presse ist weitgehend zu einer Boulevard-Presse geworden, und das gilt ganz besonders für ihre Nachfolger im Web. Der Unterschied zum (beispielsweise) politischen Journalismus ist enorm. Kein politischer Journalist würde jemals mit weit aufgerissenen Augen und einer Fratze für seinen neuesten Text werben. Eher würde er kündigen. Man muss sich vorstellen, wie monströs es im politischen Journalismus wäre, wenn jemand wie »iJustine« die Fragen stellen würde.







Was werden wohl die Ingenieure davon halten? Motiviert es sie, nach mühsamer Entwicklungszeit ihre Ergebnisse zu enthüllen? Geben sie sich umso mehr Mühe, weil sie wissen, dass ein fachkundiges Publikum sie beurteilen wird?

Ich habe meinen Artikel begonnen mit der Feststellung, dass kaum Gerüchte zur WWDC existieren. Aber natürlich wird trotzdem auf allen Webseiten gerätselt; das macht Spaß und das ist gut. Hier ist die Welt in Ordnung. Aber klickt man weiter auf die Leser-Kommentare etwa bei MacRumors, oder stolpert man in das Sumpfloch von Reddit, dann findet man keineswegs eine freudige Erwartung, die einen Ingenieur motivieren könnte. Sondern man findet vor allem Negativität, Missgunst, ja sogar offene Verachtung. Seitenweise steht, wie dumm die Ingenieure bei Apple sind, wie schlecht ihre Produkte und wie töricht ihre Entscheidungen. Selbst winzigste Kleinigkeiten werden aufgeblasen, und man hat den Eindruck, dass es für die Ingenieure schlicht unmöglich ist, es irgendwem recht zu machen.

Ein älterer Ingenieur würde seinem jüngeren Kollegen wohl sagen müssen: »Egal was Du machst, sie werden Dich in der Luft zerreissen«. Wenn die Dinge so stehen, hätte ich überhaupt keine Lust mehr, irgendwas für diese Leute zu entwickeln. Ich würde meinen Scheck verdienen, und fertig.

Aber das ist das pure Gegenteil dessen, was Steve Jobs uns hinterlassen hat. Was er lebte und von anderen verlangte, war Hingabe und Leidenschaft. Und was wir Anwender dazu beigetragen haben, war die ehrliche Belohnung dieser Anstrengungen; entweder durch unseren fachkundigen Applaus, oder hin und wieder mit unseren schwer verdienten Kröten.



Ich werde die WWDC wieder verfolgen wie in den guten alten Zeiten. Ich hoffe nicht so inbrünstig auf die ein oder zwei neuen Features, die ich selber gerne haben würde. Damit verdirbt man sich nur den Spaß. Sondern vor allem möchte ich sehen, was Ingenieure und Entwickler ausgetüftelt haben. Und dann beginnt die beste Zeit im Apple-Jahr: Nicht sofort ein Urteil fällen, sondern sich selbst erstmal fachkundig machen und herausfinden, warum die Entwickler sich so entschieden haben und nicht anders.

Am meisten bin ich gespannt darauf, wie sie den fetten Mac Pro auf das nächste Level hieven, denn das ist technisch ein großes Mysterium. Ich würde gerne sehen, ob man das MacBook Air neu erfinden kann. Bei macOS werde ich auf der vordersten Stuhlkante sitzen. Und beim iPad interessiert mich, ob sie einen oder zwei Knoten lösen können, die es derzeit fesseln. Diskussion im Forum