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WWDC 2022: iPad-Exegese


03.06.2022   Da haben wir’s. Das finale Orakel zur WWDC hat gesprochen. Wie in den letzten Jahren üblich, hat Mark Gurman (Bloomberg) seine endgültige Vorhersage veröffentlicht, wie es mit iPadOS weitergehen soll.



Nach meiner Beobachtung muss Mark Gurman eine Quelle irgendwo im Bereich des Marketings haben. Denn er weiß oft nur das, was man aus einem Slogan, einer Überschrift oder einem Bild herauslesen kann. Entsprechend sind seine Leaks zwar meist korrekt, aber stets vage, und man versteht oft erst im Nachhinein, wie sie zu deuten gewesen wären.

Die Auslegung dieser Prophetie erfordert natürlich einen großen Philosophen und klugen Denker — überdurchschnittlich begabt, beliebt, begehrt, und gesegnet mit einer Vielzahl nützlicher Talente, die einzeln aufzuzählen den Platz und Zweck des Artikels bei weitem sprengen würden.

Daher werde ich, zur Freude und zum Jubel der ganzen Nation, zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens und nicht zuletzt aus reiner Nächstenliebe, mitteilen, worum es geht.

Worum geht es? Es geht offenbar um das Multitasking des iPads. Der entscheidende Vers lautet wie folgt:

»The iPad’s next major software update, iPadOS 16, will have a redesigned multitasking interface that makes it easier to see what apps are open and switch between tasks.«

Anders als weitläufig berichtet wurde, beziehen sich diese Änderungen also nicht grundsätzlich auf »das Multitasking«, in dem Sinne, dass hier weitreichende Änderungen zu erwarten wären. Sondern, im Gegenteil, betrifft es nur einen kleinen Aspekt. Der kleine Aspekt bezieht sich lediglich darauf, besser zu sehen, welche Apps geöffnet sind; und darauf, den Wechsel einfacher zu gestalten.

Derzeit sieht die Übersicht der offenen Apps folgendermaßen aus:



Die großen Vorschauen zeigen jeweils eine App. Aber das muss nicht so sein. Es kann sich auch um einen »Space« handeln, also um eine Zusammenstellung zweier Apps. Betrachten wir das zweite Bild. Hier wurde Safari mit iBooks kombiniert, beide bilden einen »Space«.



Wenn man einer der zwei Apps austauschen möchte (beispielsweise die rechte App, iBooks), dann sieht man folgendes User-Interface:



Oben steht in einer kleinen Blase: »Andere App auswählen«. Wie wählt man sie nun aus? Man kann sich im Dock bedienen, oder im Springboard, oder in der neuen »App Library«. Möglicherweise gibt es hier Änderungen oder zusätzliche Hilfen, beispielsweise eine Liste der häufig benötigten Apps, oder auch eine Darstellung der bereits geöffneten Apps, die wir in den vorherigen Bildern gesehen haben.

Dadurch würde es leichter fallen, Safari mal mit iBooks zu kombinieren und mal mit einer Textverarbeitung und mal mit Mail.

Denn Multitasking bedeutet im Alltag oft, dass man eine Haupt-Applikation benutzt (etwa, wenn man eine Mail verfasst) und sich dazu der Hilfe zahlreicher anderer Apps bedient. Das bedeutet: Eine Applikation bleibt fixiert, die anderen Apps wechseln.

Benutzt man ein iPad nur mit den Fingern, dann funktioniert das Multitasking bereits auf diese Weise. Man schubst jene App, die man austauschen möchte, nach unten. Anschließend kann man den frei gewordenen Platz neu belegen. Die erste App bleibt dabei fixiert, weil man sie überhaupt nicht angefasst hatte. Im Bild oben sieht man, dass Safari zur Seite geschoben wurde (sie ist quasi fixiert), und das System wartet nun auf die Auswahl der zweiten App.

Das hat zwei große Nachteile: Erstens, man startet bei der Auswahl der zusätzlichen App immer wieder von vorne. Einzige Hilfe ist ein kleiner Bereich im Dock, der zuletzt benutzte Apps anzeigt. Oder man muss sich diese Apps eben dauerhaft ins Dock legen. Das funktioniert zwar, kann aber verbessert werden. Es erfordert zahlreiche Gesten und Taps, bis man die App ausgetauscht hat, obwohl man vielleicht nur schnell etwas aus dem Kalender kopieren wollte. Wenn man häufig wechselt, wird das mühsam.

Zweitens, mit dem Magic Keyboard erwartet man ein anderes Verhalten, welches mehr dem Mac ähnelt. Dort wählt man neue Apps mit der Tastenkombination Befehl-Tab. Derzeit hüpft das iPad dann zu jenem Space, in dem ein Fenster dieser App offen ist.



Würde ich beispielsweise per Befehl-Tab die iBooks-App auswählen, würde ich in jenen »Space« katapultiert, der ein Fenster der iBooks-App geöffnet hatte. Dieser »Space« könnte aus iMessage und eben der iBooks-App bestehen, weil ich vor ein paar Tagen eine solche Kombination benutzt hatte. Aber vielleicht wollte ich gar kein iMessage, sondern Safari. Ich wollte Safari und iBooks, aber sobald ich iBooks per Befehl-Tab auswähle, bekomme ich iMessage und iBooks. Dann muss ich iMessage entfernen und Safari an dessen Stelle setzen.

Deswegen macht es Sinn, eine App (z.B. Safari) zu fixieren. Was immer ich dann mit Befehl-Tab auswähle, landet dann an als zweite App neben Safari. Ich kann dann wechseln zwischen Mail, iMessage, Kalender — aber Safari bleibt stets sichtbar.

Ein weiterer Vers ist interessant:

»It also will let users resize app windows«

Das wurde bislang so gedeutet, dass Fenster völlig frei skaliert werden können. Dies führte zur Spekulation über einen Desktop-Modus, bei dem man mehr Freiheiten erwartet. Aber der kleine Vers ist so vage, dass man derart große Änderungen zumindest nicht zwangsläufig daraus ableiten kann.

Mark Gurman hat vielleicht nur mitbekommen, dass es irgendwas Neues beim »Resizing« von Apps gibt. Denn die Größe von Apps konnte man schon immer verstellen, das ist keineswegs neu. Also was ist neu? Neu könnte sein, dass die Apps keinen Unschärfe-Effekt zeigen, während sie skalieren. Vielleicht sind die Prozessoren so stark, dass man eine Art »Live-Vorschau« sieht, wie man es beim Mac gewohnt ist. Hier kann man den Unschärfe-Effekt sehen:



Beim iPad ergibt sich das zusätzliche Problem, dass Apps dabei oft umschalten zwischen dem großen iPad-Layout und dem kleinen iPhone-Layout. Deswegen macht es Sinn, die Anzeige zu verschleiern, bis sie neu konfiguriert wurde.

Aber wo das nicht der Fall ist, könnte man eine Live-Vorschau bekommen, und vielleicht gibt es dann auch eine stufenlose Vorstellbarkeit — bis zu dem Punkt, ab dem die App zwischen iPad-Layout und iPhone-Layout umschalten muss.

Und das ist alles. Mehr wurde von Marc Gurman nicht herausgefunden, aber natürlich fügt er seine eigenen Spekulationen hinzu. Es ist also völlig ungewiss, ob Apple wirklich grundlegende Änderungen beim Multitasking oder sogar einen Desktop-Modus vorstellen wird. Vielleicht sind es nur Änderungen im Detail, die sich aber im Alltag als sehr praktisch erweisen.

Dass Apple erneut alles umwirft, scheint mir unwahrscheinlich zu sein. Ich würde eher darauf tippen, dass Apple auf der vorhandenen Technik aufbaut.

Was meint Ihr?

Diskussion im Forum Aktuelle Sendung: Vorschau auf iPadOS