Warum Steve Jobs gestern für mich verloren hat
Kommentar
|
Früher gab es einmal eine Zeit bei Apple, da man sich auf die Worte des oberen Managements verlassen konnte. Man gab entweder keinen Kommentar, oder aber man sprach die Wahrheit. Dies änderte sich vor einigen Jahren mit einigen Details, die man nicht zu hoch bewerten sollte. Beispielsweise schwor Apple Stein und Bein, dass der (damals neue) eMac nur und ausschließlich für den Bildungsmarkt käuflich wäre. Wenige Wochen später war das vergessen und der eMac wurde an Jedermann verkauft. Das ist eine Kleinigkeit und vielleicht keine böse Absicht.
Die Merkwürdigkeiten häuften sich seitdem. In den letzten Tagen ist die Diskrepanz zwischen Worten und Taten so groß geworden und kommt so häufig vor, dass die Worte keine Bedeutung mehr haben.
Wir erinnern uns an die Vorstellung des G4-iMacs. Steve Jobs führte dramatisch vor, dass alle anderen Dummköpfe wohl einfach den Röhren-iMac hinten abgeschnitten hätten, um Rechner und TFT in ein gemeinsames Gehäuse zu quetschen. Steve Jobs betonte, das sei nicht innovativ genug für Apple und würde nicht gut aussehen. Gut, das ist Geschmackssache. Deswegen führte Steve Jobs aus, dass es technisch gesehen fatal wäre, die Laufwerke seitlich zu kippen, denn dadurch würde deren Leistungsfähigkeit gemindert. Folglich kam es zum bekannten Lampen-Design.
Kaum waren diese Worte gesprochen, begann Apple an der Arbeit am Nachfolger in Gestalt des G5-iMacs. Dieser war nun exakt so gebaut, wie Steve Jobs es eigentlich für falsch erklärt hatte. Gestern während der Keynote frohlockte er gar: "Was könnte man Besseres tun, als einen Rechner in das Gehäuse des Monitors zu integrieren?" und zeigte stolz ein Bild vom neuen iMac. Tja, eigentlich müsste er die Frage anhand seiner eigenen Keynotes beantworten können.
Steve Jobs zischte vor ca. zwei Jahren Gift und Galle gegen die fiesen MP3-Player der Konkurrenz, die fast alle Flash-Speicher hatten. Zu winzig, zu hässlich, zu wenig Speicherplatz, und vor allem nur einen winzigen Screen, auf dem man nichts sieht. Ein Jahr später posaunte Steve Jobs die Vorzüge seines eigenen Flash-Player in die Menge. Dieser hatte überhaupt kein User-Interface, und der Screen war so klein, dass man ihn bis heute nicht finden konnte. Ergo viel besser als die fiesen Dinger der Konkurrenz.
Na gut, Spaß muss sein. Immerhin hat der iPod Shuffle den Vorzug, im besten Download-Store der Welt betankt zu werden. Der große Erfolg des iTMS legte die Frage nahe, ob man nicht auf die gleiche Weise auch Videos anbieten könne. »Aber nein, auf keinen Fall«, diktierte Steve Jobs den Reportern ins Mikrofon. Das haben wir in den letzten zwei Jahren immer und immer wieder gehört, stets verbunden mit exakten Begründungen, warum Video eine andere Ware ist als Musik und warum dies den Vertrieb per Internet ausschlösse. Sogar in den letzten zwei Monaten war solcherlei zu hören. Renommierte Zeitungen druckten seine Worte.
Gestern eröffnete Apple sein offizielles Video-Angebot für Musikvideos und TV-Serien.
Also gut, dann eben Videos. Aber doch wohl nicht für den iPod, oder? Noch vor drei Wochen, auf der Apple Expo in Paris, gab Steve Jobs ausführliche Begründungen zu Protokoll, warum iPod und Video nicht zusammen passen. Diese Antworten waren die gleichen, die wir die letzten Jahre immer wieder gehört haben. Bei der Vorstellung des »iPod photo« verhöhnte Steve Jobs die Konkurrenz gar mit einem extra eingespielten Ausschnitt aus dem Film »Star Wars«. Die thumbe Konkurrenz, die demnächst alle irgendwelche Videofähigkeiten in ihre Player integrieren würden, wären alle auf dem Holzweg. Steve Jobs führte den paar hundert geladenen Presseleuten aus, es sei für Apple geradezu albern, mit anzusehen, wie die Konkurrenten alle in die falsche Richtung liefen, und wie sie all die Energie und das Geld in den Sand setzen würden. Aber Apple (und nur Apple), hätte die tatsächlich richtige Strategie. Und dann kam der großartige »iPod photo«, der sich nach wenigen Tagen als Ladenhüter erwies.
In Interviews, auf Podiumsdiskussionen, bei Pressekonferenzen, und während Analystenmeetings wiederholte Steve Jobs gebetsmühlenartig: Kein »iPod video«.
Gestern liess sich Steve Jobs beklatschen für einen »iPod video«.
Vor wenigen Tagen mahnte er an, dass es zwar Videoplayer im Markt gebe, aber sie wären nicht erfolgreich, weil diese winzigen Filmchen viel zu winzig seien. Gegenüber dem Wall Street Journal führte er aus, dass es bei Video eben nicht so etwas wie den Kopfhörer gebe, was den Konsum "nebenher" ermögliche. Man müsse beim Bild-Medium dadurch auf ein winziges Display starren. Man könne zwar ein größeres Display verbauen, aber das gefalle den Kunden nicht bei einem Musikgerät für die Hosentasche.
Gestern jauchzte er jedoch verzückt über TV-Serien, die man sich mit 320 x 240 Pixeln ansehen solle -- sogar die Filme von Mac-TV sind größer. Der Video-Stream von Steves eigener Keynote übrigens auch. (Das hielt ihn nicht davon ab, die paar Pixel des neuen iPods während der Keynote mit atemloser Stimme als »giant screen« auszurufen. Aber das nur nebenbei.)
Und haben wir nicht gehört, dass Microsoft mit seiner Multimedia-GUI scheitern werde, vermittels derer man Fotos, Videos und Musik bequem vom Sofa aus per Fernbedienung auf dem Fernseher auswählen kann? Hat er nicht immer wieder betont, wie schlecht sich das verkauft und wie verfehlt das Konzept ist?
Gestern sahen wir mehr oder weniger eine Kopie dieser Software als großartiges neues Feature für den iMac, von Steve Jobs präsentiert als incredible breakthrough technology.
Mit dem Unterschied, dass Microsofts Lösung tatsächlich vom Sofa aus benutzt werden kann, denn vor dem Sofa steht der Fernseher. Apples Software läuft aber nicht auf dem Fernseher. Microsofts Software schon.
Hier geht es nicht darum, ob die neuen Produkte gut oder schlecht sind. Wer sie gebrauchen kann, wird sie vielleicht kaufen. Oder eben nicht. Es geht auch nicht darum, dass Apple die wertvollen Ideen vorab für die Presse ausplaudern soll, damit die Konkurrenz es leicht hat. Es geht darum, entweder nichts zu sagen (darin ist Apple ja geübt), oder aber die Wahrheit.
Niemand ist sauer, wenn ein Manager darauf hinweist, dass man sich zu zukünftigen Produkten prinzipiell nicht äußere. Aber wenn Steve Jobs sich aus freier Entscheidung zu Wort meldet und seine Zuhörer hinter die Fichte führt, dann ist das wenig sympathisch. Hat er das nötig? Steve Jobs? Man bedenke, es ist immerhin Steve Jobs.
Was mich dabei wirklich etwas traurig macht, ist das schier unendliche Vertrauen, welches die Fans ihm und seiner Firma entgegen bringen. Nehmen wir als Beispiel den mühsamen (und kostspieligen) Übergang zu OS X. Und nun schon wieder die ganze Ochsentour mit Intel. (Und dann ausgerechnet noch Intel!) Normale User hätten den Firmenboss bei der WWDC-Keynote ausgepfiffen. Erst recht die Entwickler, vor denen er auftrat. Die können nun teilweise erhebliche Arbeiten leisten, und sind am Ende so weit wie bisher. Windows-Entwickler feilen derweil an neuen Features.
Die braven User denken sich: Steve wird schon wissen, was richtig ist. Sie vertrauen ihm. Und ich finde, dieses Vertrauen sollte Steve Jobs nicht missachten, indem er Dinge erzählt, von denen er weiß, dass sie nicht wahr sind. Das hat er nicht nötig, und das haben wir nicht verdient.
|